Samstag, 29. Dezember 2012

Letzte Sätze #56

"'Gute Arbeit, mein Held. Zum Glück kann ich prima schwimmen.
Während ich sicher bin, dass ich endlich gefunden hatte, wonach ich suchte, bist Du wieder daheim. Und da ich mir nie erlauben würde, mich einzumischen - jedenfalls nicht unaufgefordert -, muss meine Suche weitergehen, doch jetzt habe ich immerhin einen Maßstab.
Ich achte die Familie sehr - das hast Du bestimmt nicht gewusst.
Aber vielleicht ändere ich eines Tages meine Meinung - und Du womöglich auch.'
Die Karte war mit dem so vertrauten 'S.' unterschrieben."
C.J. Box, "Todfeinde"

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Geschichte im Thriller: Dominique Manotti

Sie arbeitete als Historikerin, war Funktionärin der sozialistischen Gewerkschaft CFDT und schreibt seit einigen Jahren die wohl besten Politthriller Europas: Dominique Manotti. Am 24. Dezember wurde die Französin 70 Jahre alt.

Klein, angegrautes Haar, blaue Augen in einem fast faltenlosen Gesicht, das gerne lacht. Wer Dominique Manotti nicht kennt, dürfte kaum glauben, dass diese nette ältere Dame die derzeit wohl besten Politthriller schreibt. Furiose Spannungsromane, die gespickt sind mit Action, überraschenden Wendungen und all den Zutaten, die einen das Buch nicht aus der Hand legen lassen. Dabei exzellent geschrieben, mit Sinn für Stil, Rhythmik und präzise Dialoge.

Jeder Roman der vielfach preisgekrönten Autorin ist eine Momentaufnahme aus der jüngeren französischen Geschichte, die historische Wahrheit, soziale Realität und literarische Fiktion verbindet. Darin ähnelt Manottis Werk dem ihres literarischen Vorbilds James Ellroy (Underworld USA“) ohne jedoch die Manierismen des US-Autors zu kopieren. Das zeigte schon der Debütroman der damals 53-Jährigen: Hartes Pflaster“ (1995) spielt im Milieu der in Frankreich Sans-Papiers genannten illegalen Immigranten, die für Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse kämpfen.

Geschichtsschreibung im Thrillerformat, hart, desillusioniert, analytisch das ist auch Roter Glamour“ (2001), Manottis schonungsloses Porträt der Mitterand-Ära. Hier zeichnet die Autorin das Panorama einer hemmungslosen Politikerkaste, die sich korrupter Polizisten und Geheimdienstler bedient, aber auch vor der Zusammenarbeit mit Gangstern nicht zurückschreckt.

Das schwarze Korps“ (2004) springt in die letzten Tage der deutschen Besetzung Frankreichs. Hier entmystifiziert die gebürtige Pariserin die Befreiung der französischen Hauptstadt als chaotischen Zusammenbruch der Ordnungsmacht, den französische Gestapo-Kollaborateure zu brutalen Raubzügen ausnutzen um sich für einen guten Start in eine neue Ära auszustatten.

2006 folgte Letzte Schicht“: Wohl nirgendwo sonst ist es einem Autor gelungen, anhand eines Streiks in einer kleinen Fabrik der französischen Provinz große Wirtschaftspolitik zu erklären. Hintergrund ist die Privatisierung des französischen Thomson-Rüstungskonzerns in den neunziger Jahren. In Einschlägig bekannt“ (2010) schildert die Autorin den Aufstand der Jugendlichen in den Banlieues genannten Vorstädten von Paris. Ihnen stehen zumeist rassistische Polizisten gegenüber, die ihre Gewaltexzesse durch rechtskonservative Karrieristen in Polizeiführung und Politik gedeckt sehen Sarkozy lässt grüßen.

Die ehrenwerte Gesellschaft“ (2011) schließlich, ein Gemeinschaftswerk mit dem unter Pseudonym veröffentlichenden Drehbuchautor DOA, spielt im Vorfeld des jüngsten Präsidentschaftswahlkampfs. Die Skrupellosigkeit, die die Autoren den Spitzenpolitikern ihres Landes hier attestieren, dürfte alle erblassen lassen, die unser Nachbarland immer noch gern mit dem Schleier einer Toujours liberté“-Romantik verklären.

Das Handwerkszeug zur Recherche ihrer Stoffe beherrscht die Autorin aus dem Effeff. Manotti studierte von 1960 bis 1966 an der Sorbonne Geschichtswissenschaften, wurde 1969 Assistentin für neuzeitliche Wirtschaftsgeschichte in Vincennes und forschte zuletzt an der Universität Paris VIII in Saint-Denis.

Die Objektivität der Wissenschaftlerin bedeutet aber nicht, dass ihre Romane nicht parteiisch wären: Manottis Sympathie gilt stets denen, die sich den Zentralen der Macht widersetzen, den Arbeitern, den Immigranten, den scheinbar Machtlosen. Hier zeigt sich die von der 68er-Bewegung geprägte Funktionärin der sozialistischen Gewerkschaft CFDT, die sich aus Enttäuschung über die Politik Mitterands aus der Politik zurückzog und ins literarische Fach wechselte.

Dennoch lässt sich Manotti nie dabei erwischen, dem Bedürfnis des Lesers nach einfachen Erklärungen entgegenzukommen. Pauschalisierendes Schwarz-Weiß ist ihre Sache nicht, niemand ist je nur gut oder nur böse. Sicher, es gibt sie auch hier: die Monster, die Fieslinge, diejenigen, die immer groß absahnen und stets zu den Gewinnern gehören. Und auf der anderen Seite sind da die Helden, die Verlierer, die Opfer und die vielen, die gerade noch mal davonkommen. Doch gestattet Manotti jeder Figur Zwischentöne, verstörende Widersprüche, eben das, was nicht ins Bild passt. Vielleicht macht gerade dies die besondere Klasse dieser Autorin aus. Am vergangenen Montag wurde Dominique Manotti 70 Jahre alt.

Dominique Manotti, "Das schwarze Korps" (Argument ariadne, 280 Seiten, 17,90 Euro)

Erschienen in der Nordsee-Zeitung, 22. 12. 2012, S. 6

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Letzte Sätze #55

"Als der Schnaps endlich anschlug und die Musik losging, setzte ich mich hin, sah den nackten Weibern bei ihrer Gymnastik zu und versuchte verzweifelt, auf Touren zu kommen."
James Ellroy, "Liebestraum", in: James Ellroy, "Hollywood, Nachtstücke"

Sonntag, 23. Dezember 2012

Rock Candy Baby by Dick Contino



"Zeitmaschine mit Raketenantrieb ...
Die Geschichte dreht sich um den Trucker/Rennfahrer/Sänger Phil 'Daddy-O' Sandifer, der den Mord an seinem besten Freund aufzuklären versucht, was dadurch erschwert wird, dass man ihm den Führerschein entzogen hat. Phils Kumpels 'Peg' und 'Duke' wollen ihm helfen, sind dazu aber viel zu benebelt, weil sie sich die Nächte im Rainbow Gardens um die Ohren schlagen, einem Halbstarkentreff, wo Phil gratis und auf Zuruf Doo-Wop-Schnulzen schmettert. Egal: Daddy-O lernt die aufreizende Jana Ryan kennen, ein Mädchen aus gutem Hause mit gültigem Führerschein und einem 57er T-Bird-Cabrio. Aus gegenseitiger Abneigung wird sexuelle Anziehung; Phil und Jana tun sich zusammen und verdingen sich zum Schein im Nachtclub des zwielichtigen Fettsacks Sidney Chillis. Der Sänger Daddy-O und das Zigarettenmädchen Jana, ein ebenso attraktives wie schlagkräftiges Duo. Sie kommen schnell dahinter, dass Chillis Big 'H' verdealt, ste...llen ihm eine Falle und kaufen sich den Dickwanst wegen des Mordes an Phils bestem Freund. Das Ganze gipfelt in einer wilden Verfolgungsjagd; bleibt die brennende Frage: Wird Daddy-O als Lohn für seinen Wagemut den Führerschein zurückbekommen?
Wer weiß?
Was soll's?
Ich musste mir den Streifen ohnehin dreimal ansehen, um den Inhalt halbwegs korrekt wiedergeben zu können.
Weil Dick Contino mich in seinen Bann schlug.
Weil ich - instinktiv - wusste, dass er die entscheidenden Antworten parat hatte.
Weil mir klar wurde, dass er wie ein unsichtbarer Geist über meinem 'Quartett' von L.A.-Romanen schwebte, ein Phantom, das endlich sprechen wollte.
Weil ich spürte, dass er mir tonnenweise Hintergrundmaterial liefern, meine Erinnerungslücken schließen und auf diese Weise ein gestochen scharfes Bild der Stadt Los Angeles in den späten 50ern zeichnen konnte.
Weil ich zu erkennen glaubte, dass sich Rolle und Privatperson von 1957 in weiten Teilen deckten, ein Gemisch, das in den vergangenen fast fünfunddreißig Jahren an Sprengkraft vermutlich noch gewonnen hatte.
Contino auf der Leinwand: ein hübscher Italiener Ende zwanzig mit strammem Bizeps, entweder vom Hanteltraining oder dem Liebesspiel mit seinem Akkordeon. Ein Bilderbuch-Mädchenschwarm: strahlend weiße Zähne, dunkle Locken, sympathisches Lächeln. Trotzdem leidet er unter den modischen Verirrungen der 50er: bis unter die Achselhöhlen hochgezogene Röhrenhosen, quergestreifte Ban-Lon-Hemden. Er sieht gut aus und kann singen; mit 'Rock Candy Baby' hat er Schwierigkeiten - der Text ist beschissen, und swingende Uptemponummern wie diese liegen ihm ganz offensichtlich nicht -, aber bei dem Schubidu-Schmachtfetzen 'Angel Act' - einem Song über den klassischen Loser, der einer 'Noir'-Göttin verfallen ist, die sein Leben in Schutt und Asche legen wird - tropft ihm buchstäblich der Schmalz von den Stimmbändern, so sterbensschön lässt er seinen Bariton vibrieren.
Schauspielern kann er auch: Er ist offenkundig ein Naturtalent und fühlt sich vor der Kamera wohl. Irre: Wenn er den Mund aufmacht, werden aus schauderhaften immerhin mittelmäßige Dialoge.
Und er ist stolz darauf, in 'Daddy-O' die Hauptrolle zu spielen - er schämt sich weder für das Drehbuch noch für seine Partner oder einen Text wie: 'Rock Candy Baby, that's what I call my chick! Rock Candy Baby, sweeter than a licorice stick!' -, obwohl er nach dem bisschen, was ich über ihn weiß, auf der Karriereleiter schon mal ein paar Sprossen höher stand.
Ich beschloss, Dick Contino ausfindig zu machen."
James Ellroy, "Schatten der Vergangenheit", in: James Ellroy, "Hollywood, Nachtstücke"

Samstag, 22. Dezember 2012

Letzte Sätze #54

"'Nun', sagte Carol. 'Es scheint so ziemlich vorbei zu sein, Doc.'
'Ja', sagte Doc. 'So ziemlich, Carol.'
'Du!' sagte sie schroff, und ihre Stimme klang plötzlich zornig, ängstlich, gequält. 'Ich werde auf dich trinken, Doc, Liebling!'
'Wie reizend von dir', sagte Doc und stieß mit ihr an.
'Und wie soll der Trinkspruch lauten?'
'Auf dich! Auf dich und unsere erfolgreiche Flucht!'
'Und auf dich, mein Liebes', sagte Doc. 'Und auf einen weiteren Sieg dieser Art.'
Jim Thompson, "Getaway"

Montag, 17. Dezember 2012

Letzte Sätze #53

"'Verschwinde, wir können dich hier nicht gebrauchen.'
Der Dorftrottel lächelte den Brigadier an.
'Sie brauchen meinen Hund!', posaunte er. 'Sie brauchen meinen Hund! Er ist ein Polizeihund! Sehen Sie denn nicht, dass er den Revolver unter dem Bauch trägt!'"
Jean-Patrick Manchette/Jean-Pierre Bastid, "Lasst die Kadaver bräunen!"

Sonntag, 16. Dezember 2012

Letzte Sätze #52

"Von nun an kommen aus der Region des Goldenen Halbmonds 70 Prozent des in Europa konsumierten und 20 Prozent des für den nordamerikanischen Markt bestimmten Heroins. Damit ist sie eine ernstzunehmende Konkurrenz für das Goldene Dreieck (Burma, Thailand, Laos)."
Dominique Manotti, "Hartes Pflaster"

Freitag, 14. Dezember 2012

Dienstag, 11. Dezember 2012

Letzte Sätze #50

"Während ich mich gegen den Wind zuknöpfte, erinnerte ich mich an die Kneipe in Newry. Sutton hatte den 'Jagdhund des Himmels' gekrallt und gesagt: 'Francis Thompson ist brüllend gestorben; so sterben alle Alkis!' Ich konnte das nicht überprüfen. Der Wind war zu laut."
Ken Bruen, "Jack Taylor fliegt raus"

Montag, 10. Dezember 2012

Letzte Sätze #49

"Meine Augen waren nass. Erst dachte ich, es wäre Blut, dann wurde mir klar, dass es Tränen waren. Die Frau massierte mir immer noch die Schulter, und ich hörte, wie sie zu jemandem sagte, ich glaube, ich hörte sie sagen: Es ist sein Sohn. Ich weiß, dass sie mir weiter die Schulter knetete."
Ken Bruen, "Jack Taylor und der verlorene Sohn"

Samstag, 8. Dezember 2012

Gedanken für Leser

"Das berühmte 'Glücksversprechen' findet sich in den beängstigenden Texten des Mannes aus Prag, und es findet sich noch in den erschreckendsten Romanen von Robin Cook. Er schrieb entsetzliche Dinge, weil er gegen das Entsetzen schrieb. Jemand, der so heftig gegen das Schlimmste kämpft, hat sicherlich 'die Axt für das gefrorene Meer in uns' in der Hand, und das ist schön, und die Schönheit macht glücklich, zumindest diejenigen, die sich nicht vorstellen, dass das Glück Behaglichkeit ist."
Jean-Patrick Manchette, "Notes noires", "Polar" (2. Folge) Nr. 14, Januar 1995, in: Jean-Patrick Manchette, "Chroniques - Essays zum Roman noir"

Freitag, 7. Dezember 2012

Letzte Sätze #47

"Ich trank einen Schluck Gin und stand auf. 'Ich will nichts', sagte ich.
'Überhaupt nichts?'
'Nichts, was mir jemand geben könnte', sagte ich und zog mit dem Bambusstecken das Schwungseil heran. Der Senator setzte sein Glas ab, stand auf, zog gewissenhaft den Bauch ein, damit er nicht über die Badehose quoll, und kletterte aufs Geländer. Er fasste das Seil und segelte ab. Als ich dem Senator beim Fallen zusah, fragte ich mich, wie wohl gerade das Wetter in Dubrovnik war."
Ross Thomas, "Der Yellow-Dog-Kontrakt"