Mittwoch, 8. Mai 2013

La musique de Montale XXXIV

"Mourads Stimme unterbrach mein Gegrübel. Sein Ton überraschte mich. Traurig. 'Das hat mein Vater früher auch gehört. Meine Mutter mochte es gern.'
'Warum? Hört er es nicht mehr?'
'Redouane sagt, es ist Sünde.'
'Der Sänger da? Lili Boniche?'
'Nein, die Musik. Dass Musik zu Alkohol, Zigaretten und Mädchen gehört. Zu all dem.'
'Aber du hörst Rap?'
'Nicht, wenn er da ist. Er ...'

 'Oh großer Gott, erbarme dich,
Lass mich meine Lieben sehen
und die Herzenspein vergehen ...'

 Jetzt sang Lili Boniche 'Alger, Alger'."

 
 

Montag, 6. Mai 2013

La musique de Montale XXXIII

"Sie spielten mir die Fonky Family vor, junge Leute aus dem Panier und Belsunce - die bei den Bad Boys aus Marseille mitgemacht hatten - und die Band Troisième Œil, die direkt aus den nördlichen Vierteln entsprungen war. Rap war wahrhaftig nicht mein Ding, aber ich war immer wieder verblüfft, was er zu erzählen hatte. Die treffsicheren Worte. Die Qualität der Texte. Sie sangen von nichts anderem als dem Leben ihrer Kumpel auf der Straße oder im Knast. Auch davon, wie leicht es sich starb. Und von den Jugendlichen, die in der Psychiatrie endeten. Eine Wirklichkeit, mit der ich jahrelang zu tun gehabt hatte."
 
 

Sonntag, 5. Mai 2013

La musique de Montale XXXII

 "Als er gegangen war, setzte ich mich wieder an die Bar. Trank mit dem einen oder anderen und natürlich mit Hassan, der keine Runde ausließ. Ich lauschte den Gesprächen. Und der Musik. Nach der offiziellen Stunde für den Aperitif spielte Hassan jetzt Jazz statt Ferré. Er suchte die Stücke sorgfältig aus. Als ob er den richtigen Ton für die jeweilige Stimmung treffen wollte. Der Tod zog sich zurück, sein Geruch. Und kein Zweifel, ich bevorzugte den Anisgeruch.
'Ich ziehe den Anisgeruch vor', hatte ich Hassan zugerufen.
Ich begann, langsam betrunken zu werden.
'Klar.'
Er hatte mir zugezwinkert. Ganz Komplize. Und Miles Davis hatte 'Solea' angestimmt. Das Stück verehrte ich. Seit Lole mich verlassen hatte, hörte ich es nachts pausenlos.
'Die soleá', hatte sie eines Abends erklärt, 'ist das Rückgrat des gesungenen Flamenco.'"
 
 

Samstag, 4. Mai 2013

Letzte Sätze #107

"Er setzte mir die Spitze des Schraubenziehers auf den obersten Punkt des Schädels.
Und ich sah - die beiden Siebener, die aufeinandertreffen, und wieder geschieht es, immer wieder, Stiefel auf Oberschenkeln, ein Schlüpfer, der an einem Baum baumelt, hochgeschobene BHs, ausgeweidete Bauchhöhlen und Brüste, eingeschlagene Schädel (...) ich stehe vor der Tür und klopfe, die Schlüssel zu Tod und Hölle und zum Mysterium der Frau, und ich weiß, dies ist der Grund, warum Menschen sterben, dies ist der Grund, warum Menschen, 1977, dies ist der Grund, und ich sehe ...
Er schlug zu.
... keine Zukunft."
David Peace, "1977"

Freitag, 3. Mai 2013

Letzte Sätze #106

"Adamsberg ging langsam den Boulevard hinauf und stellte sich vor, wie in Kiseljevo die Baumstümpfe um das Grab verfaulten.
Wo werden sie wieder wachsen, Peter?"
Fred Vargas, "Der verbotene Ort"

Donnerstag, 2. Mai 2013

Letzte Sätze #105

"Macquart schaltete das Radio aus.
'Du hast dich richtig entschieden, als du zu mir kamst. Schade, dass du deiner Idee nicht konsequent gefolgt bist.' Dann, mit einem nicht zu deutenden dünnen Lächeln auf den Lippen: 'Am Ende siegt immer das Recht. Von kleinen Ausnahmen abgesehen.'"
Dominique Manotti, "Roter Glamour"

Mittwoch, 1. Mai 2013

Letzte Sätze #104

"Ich will Dir etwas sagen, und vielleicht ist dies überhaupt das letzte Mal, dass ich dem Drang nachgebe, meine Gedanken oder irgend etwas, was mich betrifft, schreibend zu veräußern: Es gibt einen sogenannten primitiven Stamm in der Südsee, bei dem die Eltern ein unerwünschtes Kind gleich nach der Geburt in der Wildnis aussetzen, und das will mir immer noch humaner erscheinen als
(Hier endet die Seite. Weitere Briefbögen mit einer Niederschrift sind mir nicht zugänglich geworden.)"
Helga Riedel, "Ausgesetzt"