Donnerstag, 30. Oktober 2014

Interview mit Pieke Biermann

„Lauter olle Kamellen“

Die Autorin Pieke Biermann streitet gegen die geplanten Verschärfungen des Prostitutionsgesetzes

Bremerhaven. Seit 2002 ist Sexarbeit ein legales Gewerbe, und das Prostitutionsgesetz hat sich weitgehend bewährt. Dennoch gilt bezahlter Sex als schmuddelig, manche fordern eine Rekriminalisierung von Prostitution. Dem tritt Pieke Biermann, Autorin des Buches Wir sind Frauen wie andere auch!“, im Gespräch mit Ulrich Kroeger entgegen.
Manche würden Prostitution am liebsten abschaffen. Warum ist das unrealistisch? Sex gehört nun mal zum Leben, Lust gehört zum Leben. Wie Essen und Trinken und wie Sterben auch. Wer will das verbieten und warum? Das geht nicht, das gehört zum menschlichen Leben dazu. Und Sex hat nun mal viele Formen. Prostitution, also sexuelle Dienstleistung mit einem Anfang und einem Ende und einer bestimmten Art, wie die so sein soll, und mit einer Bezahlung ist ein Teil davon, eine Spielart.
Ist Prostitution dann ein ganz normales Geschäft? Was ist ein normales Geschäft? Ist ein Bilderhändler ein normaler Händler? Ist Schauspielerei ein normales Geschäft oder Balletttanzen? Es ist ein Geschäft. Und es ist eben auch so vielfältig und verschieden wie manche anderen Geschäfte.
Nun haben Kommunen mit diesem Geschäft vielfach ein Problem, erlassen und vergrößern Sperrbezirke und engen Prostitution auf eng begrenzte Straßenzüge ein. Was halten Sie davon? Gar nichts. Das habe ich vor 30 Jahren schon kritisiert, aber es hat sich leider nicht geändert. Wer Sperrbezirke einrichtet, macht staatlicherseits eine ABM für Zuhälterei. Das ist ganz logisch so: In dem Moment, wo Sie ein Gebiet sperren, müssen Sie andere Gebiete ausweisen, in denen Prostitution stattfinden darf. Und da haben dann diejenigen, die da Häuser besitzen und Geschäfte machen dürfen, Zugriff auf Prostitutionsgewinne.
Warum fallen, wenn über Prostitution diskutiert wird, unweigerlich und oft auch ziemlich schnell die Begriffe Zwangsprostitution“ und Menschenhandel“? Das ist keine politische Argumentation, sondern reine Demagogie. Als ich 1979 mein Buch geschrieben habe, fiel im Zusammenhang mit Prostitution automatisch der Begriff Zuhälter“. Dahinter steckt eine tief sitzende und vielfach auch unbewusste Weigerung, die Frauen selbst ernstzunehmen, anzuhören und zu Wort kommen zu lassen. Man nimmt dann gern so eine Ersatzfigur zum Ablenken, auf die sich alle einigen können: Igitt! Heute ist das nicht mehr der Zuhälter, weil der entschieden an Boden verloren hat durch das neue Prostitutionsgesetz, heute sind es Menschenhandel und Zwangsprostitution. Es gibt überhaupt keine belastbaren Zahlen dazu, und die Behauptung, ja, das Meiste sind doch Zwangsprostituierte aus Rumänien und Bulgarien“, ist der reine Quatsch. Das ist einfach nicht wahr. Damit wird zwar Politik gemacht, aber es ist keine politische Debatte. Grusel! Das erbost mich.
Wem nutzt es eigentlich, Prostitution in eine Zone der Halblegalität zu verweisen? Zum Beispiel Zuhältern, also Leuten, die gerne profitieren möchten von der Arbeit anderer Leute. Es nützt aber natürlich auch Ideologen, die dann auch Kampagnen gegen Prostitution veranstalten. Denn damit lässt sich immer gut ein angeblich moralisches Thema verfechten. Die Leute, die Kampagnen gegen Prostitution veranstalten, halten sich ja für die moralisch Saubereren. Das Gegenteil ist eigentlich der Fall, weil die immer mit allem, was sie wollen, Prostituierte ausliefern. Der Gewalt, der Gefahr, der Ansteckung, allem Möglichen. Das heißt, alle diejenigen, die gerne eine alte Geschlechterzuordnung wiederherstellen möchten, eine scheinbar saubere Welt Männer sind so, Frauen sind so, Sex ist das und das und nichts anderes. Denen nützt das natürlich. Der Freiheit des Menschen im Allgemeinen nützt es gar nichts. Im Gegenteil.
Inwiefern war da das Prositutionsgesetz von 2002 ein Meilenstein? Es hat den Prostituierten für die freie Berufsausübung den entscheidenden Stein aus dem Weg geräumt, nämlich die Sittenwidrigkeit. Prostitution galt immer als sittenwidrig, und das hatte strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen. In dem Moment, wo ein Geschäft sittenwidrig ist, ist es nichtig. Das heißt, eine Prostituierte, die Arbeit abgeliefert hatte, aber ihren Lohn nicht bekam, hatte überhaupt keine Chance, den einzuklagen, weil es sittenwidrig war. Das ist jetzt anders. Das Geschäft ist nicht mehr sittenwidrig, und damit ist automatisch die Person, die dieses Geschäft abschließt, eine voll anerkannte Rechtsperson, und zwar auch in anderen Bereichen ihres Lebens. Sie kann ganz normal Verträge aller Art schließen, Versicherungen, Mietverträge zum Beispiel. Das ging früher alles rechtlich nicht. Das heißt, diese halblegale oder illegale Grauzone für die Frauen ist weg. Das bedeutet eine Aufwertung, die Erhebung in den normalen Bürgerstand. Prostituierte sind jetzt endlich auch vollberechtigte und vernunftbegabte Wesen.
Nun haben Sie Ihr Buch Wir sind Frauen wie andere auch“ aber nicht zufällig gerade jetzt neu aufgelegt … Nein, das stimmt. Im Sommer 2013 gab es ja dieses Riesenkrakeele von (Alice) Schwarzer und merkwürdigen Allianzen mit Katholiken und europäischen Lobbygruppen, das einen unheimlichen Widerhall in den Medien fand, auch weil Frau Schwarzer damals noch gern im Fernsehen eingeladen wurde. Und ich war jahrelang immer wieder gefragt worden: Mensch, kannst du nicht dieses Buch mal wieder herausbringen, das war doch damals so wichtig für uns, und jetzt gibt’s das gar nicht mehr. Im September hatte ich zufällig im Bayerischen Rundfunk ein Gespräch über mich und mein Leben, und darauf gab’s ein unheimlich großes Feedback, womit ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Von österreichischen, aber auch von deutschen Sexworkerinnen. Die habe ich da überhaupt erst kennengelernt, denn ich war ja aus der ganzen Szene lange raus. Ja, und der Argument Verlag fand das auch eine prima Idee. Als Debattenbeitrag, nicht als Museumsstück. Deshalb fand ich es sinnvoll, ein neues Vorwort zu schreiben, um die letzten 30 Jahre zu rekapitulieren, was da so alles mit diesem Buch passiert ist und auch mit mir, und auch im Anhang zu dokumentieren, was damals an Resonanz kam. Das hat mich, als ich das noch mal gelesen habe, noch mal wieder ziemlich umgehauen: Welch ein Hass und welche Pöbeleien unter der Gürtellinie! Das ist schon heftig gewesen.
Warum ist das Buch immer noch aktuell? Weil sich nicht wirklich viel geändert hat. Denn das Entscheidende an der Arbeit der Prostituierten und damit auch an ihrem Leben ist die Stigmatisiertheit dieser Arbeit. Sie ist zwar nicht mehr sittenwidrig, aber das heißt ja noch lange nicht, dass der Gesetzgeber und die offiziellen institutionellen Ebenen sagen: alles okay, ganz normal, wir haben keine Ressentiments. Das Thema wird ja weiterhin mit spitzen Fingern angefasst. Und es gibt immer noch so Igitt-Reste, so eine Mentalität der Bevölkerung, dass man vor Sexarbeit Angst haben müsse. Männer haben da noch eher Regard (Achtung) vor Prostituierten, weil die so schlau sind, aus dem, was Männer als ihre Schwäche empfinden, für sich was rauszuholen. Ähnlich wie vor der geschickten Ehefrau, die dem Mann das Geld abknöpft. Frauen haben dagegen eher Angst vor Prostituierten, vor allem vor der Stigmatisiertheit und dem schlechten Ruf, vor dem angeblich so Würdelosen. Aber das zeigt eben, dass diese Frauen keine Ahnung haben, wie Prostituierte sind würdelos sind die nämlich überhaupt nicht.
Nun schreiben Sie in Ihrem Buch auch über eine neue Hurenbewegung“. Was will die und welche Forderungen werden da erhoben? Die Große Koalition hat das ganze Thema gerade wieder am Wickel. Und da gibt es verschiedene Bestrebungen, das ganze Gesetz wieder zu verschärfen. Im Augenblick diskutieren sie gerade, die Vorratsdatenspeicherung auf Prostituierte anzuwenden, eine Meldepflicht einzuführen, die endlich abgeschafften Zwangsuntersuchungen wieder einzuführen. Die organisierten Sexarbeiterinnen machen jede Menge Öffentlichkeitsarbeit, Kampagnen, Kongresse, um das zu verhindern. Denn die Meldepflicht bedeutet nur Diskriminierung und Kriminalisierung. Genauso ist das mit dem Mindestalter: Die CSU möchte ja gerne, dass junge Frauen erst ab 21 der Prostitution nachgehen dürfen. Was machen die denn mit denen, die 18 oder 19 sind? Schicken sie die in den Untergrund? Wie wollen sie sie da schützen durch Recht und Gesetz? Lauter olle Kamellen kommen da wieder hoch, die die Sexarbeiterinnen gefährden und niemandem guttun. Dagegen wendet sich die neue Hurenbewegung, die inzwischen sogar einen richtigen Berufsverband gegründet hat, den BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen). Es geht immer noch um die Anerkennung, die Entstigmatisierung und die Entkriminalisierung der Prostitution und derer, die darin arbeiten.
 ,Wir sind Frauen wie andere auch!‘ Prostituierte und ihre Kämpfe“, 334 Seiten, Argument, 13 Euro
(aus: Nordsee-Zeitung, 30. Oktober 2014)




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