Montag, 22. August 2011

Jan Costin Wagner ("Das Licht in einem dunklen Haus"), Dominique Manotti ("Einschlägig bekannt"), Didier Daeninckx ("Tod auf Bewährung"), Art Spiegelman ("Die wilde Party"): Kroegers Krimitipp August 2011

Kimmo Joentaa sei „der reflexivste Polizist, der mir je begegnet ist“, bescheinigt eine Psychotherapeutin der Hauptfigur von Jan Costin Wagners neuem Roman „Das Licht in einem dunklen Haus“ (Galiani Berlin, 352 Seiten, 19,99 Euro). Aus Kollegenmund hört sich das so an: „Meistens entwickelst du in Momenten der geistigen Abwesenheit interessante Gedanken.“ In der Tat: Dieser Kimmo Joentaa, Kripo-Mann aus Turku, ist eine fast singuläre Erscheinung. Allenfalls vergleichbar mit Friedrich Anis Süden. Empfindsam, unkonventionell, manche würden auch sagen, etwas neben der Spur. Fähig zu einer Empathie, die ihn lautlos weinen lässt, während Kollegen den Ermittlungsstand bilanzieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wagner drückt nicht auf die Tränendrüsen, er bringt den Leser einfach nur den wichtigen Personen seines Romans sehr nahe. Und die wichtigen Personen sind die Opfer. Opfer, die mitunter auch zu Tätern werden oder Racheengel motivieren ... Was bei diesem Autor noch hinzukommt: Er kann schreiben. Stilsicher, flüssig, Atmosphäre schaffend, ohne mit Überflüssigem zu quälen. Und er kann plotten: Aus Perspektivwechseln, verschiedenen Zeitebenen und Tagebuchnotizen fügt sich wie von selbst eine Geschichte, die an die Nieren geht. Sehr spannend, sehr traurig – und doch voller Hoffnung. Wirklich selten so was und ein weiterer Beleg für die Sonderstellung, die Jan Costin Wagners (Jahrgang 1972) Romane im Genre des Skandinavien-Krimis einnehmen.

Krimis, die mit dem politischen Establishment ihres Landes abrechnen, sind eine Spezialität französischer Autoren. Zwei sehr schöne Beispiele hierfür sind gerade in den Buchhandlungen eingetroffen. Brandneu und nach den Riots in englischen Großstädten hochaktuell: Dominique Manottis von Andrea Stephani ins Deutsche übertragener Thriller „Einschlägig bekannt“ (ariadne/Argument, 256 Seiten, 12,90 Euro; Original: „Bien connu des services de police“, 2010). Die 1942 geborene Wirtschaftshistorikerin konfrontiert die aus „Roter Glamour“ (Krimitipp April 2011) schon bekannte und mittlerweile zur Sonderermittlerin der Pariser Polizei aufgestiegene Noria Ghozali mit dem institutionalisierten Rassismus, mit dem die Ordnungskräfte die in Frankreich „Banlieues“ genannten Armen- und Migrantenghettos der Vorstädte überziehen. Mit Rückendeckung von ganz oben wohlgemerkt: In der gegenwärtig wieder in Mode kommenden „Null-Toleranz“-Strategie bündeln sich die Interessen wahlkampfgestresster Politiker und karrieregeiler Polizeioffiziere. Und die organisierte Unterwelt will am Großreinemachen in den Elendsquartieren natürlich auch mitverdienen.
 „Exzellent geschrieben, spannend bis zur letzten Seite und nichts für Gesellschaftsromantiker“ – mit diesem Fazit ließ sich bislang jeder Roman der Französin bilanzieren, und „Einschlägig bekannt“ ist da keine Ausnahme. Die Autorin liest übrigens beim Harbourfront Literaturfestival in Hamburg (http://www.harbour-front.org/) am Donnerstag, 15. September, 20 Uhr, auf dem Stückgutfrachter MS „Bleichen“. Abfahrt ist um 19 Uhr an den Landungsbrücken.

Vom Ansatz gleichwertig, in der Ausführung jedoch völlig anders: Didier Daeninckx’ (Jahrgang 1949) bereits 1984 erschienener Kriminalroman „Le der des ders“, der in der Übersetzung von Stefan Linster jetzt unter dem etwas irreführenden Titel „Tod auf Bewährung“ bei Liebeskind (262 Seiten, 18,90 Euro) erschienen ist. „La der des ders“ – mit dieser Kurzform für „la dernière (guerre) des dernières“ wurde nach 1918 jenseits des Rheins der Erste Weltkrieg bezeichnet – man glaubte tatsächlich, das letzte Gemetzel dieser Art überlebt zu haben. „Les ders des ders“ nannten sich dementsprechend die den Schützengräben und Gaskanonaden entkommenen Frontkämpfer, und damit sind wir beim Thema des Romans: Auch René Griffon, der sich im Paris des Jahres 1920 als Privatdetektiv durchschlägt, ist ein Kriegsveteran und muss sich erneut seinen alptraumhaften Erfahrungen stellen, als ein hochdekorierter Offizier ihn mit Nachforschungen in einem Erpressungsfall beauftragt. Denn was sich zunächst mit Recherchen im Swingermilieu anlässt – die schwerreiche Frau Gemahlin scheint sich in rotem Plüschambiente gern mit Galanen in Fliegeruniform zu vergnügen – führt den nicht auf den Kopf gefallenen Schnüffler auf die Spur eines handfesten Skandals, der so gar nicht zur Selbstdarstellung der Militaristen passen will … Beide Romane sind typische Noirs, indem sie dem Leser nicht die Beruhigung gönnen, die ein Happy End vermitteln könnte: Die Welt, sie ist halt nicht so. Daeninckx’ Stil wirkt im Vergleich zum vorwärts treibenden Drive Manottis jedoch fast ein wenig altmodisch: Ja, Herrschaften, so wurden früher Kriminalromane geschrieben – ohne alle Hektik geruhsam einen Fall entwickelnd, ohne dabei auf Zeit für Humor und L’Amour zu verzichten. Selbst historische Exkursionen etwa ins Pariser Anarchisten- und Hausbesetzermilieu jener Tage sind da drin. Das ist interessant, das macht Spaß und schafft am Ende doch keine Illusionen über den Lauf der Dinge.

„Queenie war blond, ohne Alter so eine:/ Schmiß zweimal pro Tag beim Vaudeville die Beine./ Aschgrau die Augen,/ Lippen feurige Brunst –/ Ihr Gesicht kannte Höhen und Tiefen der Kunst …“ So lauten in der Übertragung von Uli Becker die ersten Zeilen der Versprosa  „Die wilde Party“ (Fischer Taschenbuch Verlag, 107 Seiten, 12,99 Euro; Original: „The Wild Party“, 1928) von Joseph Moncure March (1899 – 1977), die Art Spiegelman (Jahrgang 1948) Mitte der 90er Jahre kongenial mit sepiagetönten Schwarz-Weiß-Grafiken illustrierte. Eine mörderisch schöne Geschichte – zum Lesen, Vorlesen, vor allem aber zum Anschauen. Das Ganze endet, wie es enden muss: „Ein Rums:/ Der Stuhl!/ Fast wär er gefallen;/ ,Mussassenn sein?’/ Konnte er nur noch lallen,/ ,Aua, mein Schienbein!’/ Er stöhnte, er gähnte –/ Da trat wer die Tür ein:/ Es war die Polente.“

War noch was? Ja: Am Mittwoch, 14. September, 20 Uhr, erhält Elisabeth Herrmann („Zeugin der Toten“) im Rahmen der „Großen Radio Bremen Kriminacht“ im Café Restaurant Weserhaus den Radio-Bremen-Krimipreis. Alle Infos zum begleitenden Bremer Krimifestival (8. bis 17. September) finden sich im Netz unter http://www.primetime-crimetime.de/. Annoncieren wollen wir auch, dass die Verfilmungen von Mark Billinghams Tom-Thorne-Romanen („Der Kuss des Sandmanns“, „Die Träne des Mörders“) mit David Morrissey in der Hauptrolle jetzt auf DVD vorliegen. Wir verlosen drei „Sandmann“-Exemplare, wenn Sie uns eine E-Mail schreiben (krimitipp@sonntagsjournal.de) – Einsendeschluss ist der 4. September. Und noch eine Kleinigkeit in eigener Sache: Den Krimitipp lesen Sie jetzt auch wieder online unter kroegers-krimitipp.blogspot.com.


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