Aus der Ankündigung:
"Im Juli wäre Raymond Chandler 125 Jahre alt geworden. Schwierig, sich vorzustellen, wie die Kriminalliteratur ohne ihn aussehen würde. Mitte 30 war er, ein in der großen Wirtschaftskrise arbeitslos gewordener Geschäftsmann in Sachen Öl, als er 1932 zu schreiben begann. Sein erster Roman, "The Big Sleep", erschien 1939. Erstmals trat hier der Privatdetektiv Philip Marlowe auf, unsterblich gemacht von Humphrey Bogart… Grund genug, ihn endlich wieder einmal zu lesen - und ausführlich über sie zu sprechen, Marlowe und Chandler.
Erik Schäffler, Schauspieler, Sprecher, Theaterautor und Theaterregisseur schuf mit "Musterschüler" die erste deutschsprachige Theaterbearbeitung eines Stephen King-Stoffes; er war etliche Male im Fernsehen zu sehen, ist auf allen Hamburger Bühnen zu Gast - und spielt, passend zum Thema, seit 1994 den "Teufel" im "Hamburger Jedermann" …"
Alles Infos gibt's auch hier: www.schwarzenaechte.de
Passend zum Thema unser Chandler-Text aus der Nordsee-Zeitung vom 22. Juli:
Ein Engel in der
Gosse
„Der Größte“, „der
Beste“, „ein Engel in der Gosse“: Seine Schriftstellerkollegen verehren ihn
hymnisch. Am morgigen Dienstag feiert die Krimiwelt den 125. Geburtstag von
Raymond Chandler.
Ein im Rollstuhl sitzender General beauftragt einen
Detektiv, weil seine Tochter erpresst wird. Ein gefährlicher Job: Kaum, dass
sich der Ermittler der Sache angenommen hat, stolpert er schon über die erste
Leiche. Es geht nicht nur um Nacktfotos, auch Drogen, Glücksspiel und viel Geld
sind im Spiel. Und dann hat der General noch eine zweite Tochter, die man in
der Halbwelt von Los Angeles ebenfalls ganz gut kennt …
Wem das irgendwie bekannt vorkommt, hat Raymond Chandlers
(1888 – 1959) Krimiklassiker „Der große Schlaf“ gelesen oder – was wahrscheinlicher
ist – eine seiner Verfilmungen mit dem unvergesslichen Humphrey Bogart („Tote
schlafen fest“, 1946, mit Lauren Bacall) oder auch Robert Mitchum (1979)
gesehen. Der 1939 erschienene Roman war das erste Werk Chandlers mit dem
schlagfertigen Melancholiker Philip Marlowe, der zur Ikone des hartgesottenen
(„hard-boiled“) Privatdetektivs werden und Generationen von
Kriminalschriftstellern beeinflussen sollte.
Chandler, 1888 in Chicago geboren, wuchs in Europa auf –
seine Mutter, eine Irin, war mit dem Sohn nach London gezogen, nachdem sie von
Chandlers Vater verlassen worden war. Beamter im britischen Marineministerium, Journalist,
Buchhalter, Soldat der kanadischen Air Force, Vize-Direktor einer Ölfirma in
Kalifornien – das waren Chandlers berufliche Stationen, bevor der lebenslang
mit dem Alkohol kämpfende Moralist Anfang der 30er Jahre wegen Sauftouren und
Frauengeschichten seinen Job zu vernachlässigen begann und schließlich
entlassen wurde.
Chandler schrieb nun erste Kriminalgeschichten und veröffentlichte
sie im legendären Pulpmagazin „Black Mask“, in dem schon Dashiell Hammett
debütiert hatte. Fingerübungen
sozusagen, die noch kein Geld brachten, aber schon die stilistische Brillanz
des späteren Romanautors erahnen lassen. Dann, 1939, der erste große Aufritt
von Philip Marlowe („Der große Schlaf“)
– und gleich ein Meisterwerk.
Wer ist nun dieser Philip Marlowe? „Ich habe eine Lizenz für
private Ermittlungen und betreibe das Geschäft schon ziemlich lange. Ich bin
ein Einzelgänger, mittleren Alters und nicht reich. Ich habe schon mehrmals
gesessen, und ich übernehme keine Scheidungsfälle“, stellt sich Chandlers
berühmter Privatdetektiv selbst vor. Seine wichtigsten Eigenschaften –
moralische Integrität und mangelnder Respekt vor Macht und Geld – deutet er nur
an, seine Schwäche für Whiskeyflaschen und femmes fatales verschweigt er ganz.
Klar, dass so ein Mann, der es mit den Schattenseiten des
sonnigen Los Angeles zu tun bekommt, sich dabei aber – im Gegensatz zu vielen
seiner Berufskollegen – nie auf krumme Dinger einlässt, auf keinen grünen Zweig
kommt: „Ich brauchte einen Drink, ich brauchte eine hohe Lebensversicherung,
ich brauchte Urlaub, ich brauchte ein Häuschen auf dem Land. Was ich hatte,
waren eine Jacke, ein Hut und eine Pistole.“
Auf „Der große Schlaf“ folgten sechs weitere
Philip-Marlowe-Romane: „Lebwohl, mein
Liebling“ (1940), „Das hohe Fenster“ (1942), „Die Tote im See“ (1943), „Die
kleine Schwester“ (1949), „Der lange Abschied“ (1953) und „Playback“ (1958). Daneben
schrieb Chandler mit geschliffenen Dialogen gespickte Drehbücher für Hollywood-
und Noir-Klassiker wie Billy Wilders „Frau ohne Gewissen“ (1944), George
Marshalls „Die blaue Dahlie“ (1946) und Alfred Hitchcocks „Der Fremde im Zug“
(1951).
Chandler verlieh dem Kriminalroman eine ästhetische
Dimension und schuf mit Philip Marlowe den Archetypus des unbestechlichen
„private eye“. Vor allem aber sind es Sätze wie „Es war eine Blondine. Eine
Blondine, wegen der ein Bischof ein Loch ins Kirchenfenster getreten hätte“,
die seine Leser immer wieder zu ihren zerfledderten Paperback-Bänden greifen
lassen, ohne die eine gute Kriminalbibliothek nicht vollständig wäre. Chandler,
so viel steht fest, macht süchtig. Denn: „Keine Falle ist so tödlich wie die,
die man sich selber stellt.“
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