Freitag, 19. Oktober 2012

Abgründe in Bergwelten: Mit C. J. Box in die Rocky Mountains


Die Rocky Mountains von Wyoming sind ein Paradies für Naturliebhaber, Wintersportler und Abenteuerurlauber. Dass es dort nicht immer paradiesisch zugeht, zeigt Ihnen der Wildhüter Joe Pickett, der Serienheld von C. J. Box. 
Mögen Sie unberührte Natur? Fahren Sie gern Ski, lieben Sie den Nervenkitzel des Wildwasser-Raftings oder erholen Sie sich einfach nur gern beim Wandern? Ach, Sie beobachten gern Tiere? Dann steigen Sie doch einfach in den Pick-up und begleiten Joe Pickett in dem soeben erschienenen Roman „Todfeinde“ in die Teton Range, eine Bergkette am Ostrand der Rocky Mountains von Wyoming – dort gibt es alles im Überfluss.
Vielleicht haben Sie ja wie Joe Ihr Reiseziel schon „Dutzende Male auf Fotos, Gemälden und Briefmarken sowie in Filmen“ gesehen. Und dennoch „spürte Joe sein Herz hüpfen, als der Wald südlich des Yellowstone Parks sich kurz öffnete und die Tetons sich im Licht des späten Nachmittags gewaltig vor ihm erhoben (…), die wie rasiermesserscharfe Säbel zum Himmel strebten, als wollten sie ihn aufschlitzen“.

Es geht allerdings nur langsam voran: „Riesige Wohnmobile verstopften die Landstraße. Am Steuer saßen durchweg Senioren, für die das Tempolimit von neunzig Stundenkilometern offenbar eine Herausforderung war, der sie sich nicht zu stellen wagten.“ Und Joe muss aufpassen, weil „bei der Sichtung eines Elchs, Wapitis oder Bären die Touristen auf die Bremse treten und mit Fotoapparaten und Camcordern aus den Autos springen würden, ohne sich vorher die Mühe zu machen, auf den Seitenstreifen abzubiegen“.

Joe Pickett ist der Held der Romane von C. J. Box, einem US-Autor, der in seiner Heimat fast jeden Preis erhalten hat, den ein guter Krimiautor gewinnen kann. Zwölf Joe-Pickett-Romane sind schon erschienen, fünf davon ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann. Pickett, „Mitte dreißig, schlank und durchschnittlich groß“, ist verheiratet mit der Buchhalterin Marybeth, der „Frau seines Lebens“, und Vater von zwei bezaubernden Töchtern (Lucy, 8, und Sheridan, 13). Er ist Jagdaufseher, muss mit einem Jahressalär von 36 000 Dollar auskommen und wohnt mit seiner Bilderbuchfamilie in einem bescheidenen Haus in den Bighorns am Rande der Rocky Mountains.

Klingt langweilig, sagen Sie? Ist es aber nicht. C. J. Box zeichnet lebendige, liebenswerte Menschen, die das Interesse des Lesers wecken und ihn an ihrem temperamentvollen, nicht immer konfliktfreien Alltag teilhaben lassen. Auch Joe Picketts Job ist keineswegs so idyllisch, wie man glauben könnte: „In einem Bundesstaat und einer Gemeinde, in dem die Männer sich im Herbst auf der Straße mit der Frage ‚Haben Sie Ihr Wapiti schon erwischt?‘ begrüßten, spielte der Jagdaufseher eine wichtige Rolle.“

Das gilt besonders für die Tetons, wohin Joe gerade unterwegs ist: „In diesem Bezirk ist alles riesig“, warnt ihn sein Chef: „Die Herden sind größer als jede, der Sie je in den Bighorns begegnet sind. (…) Also werden Ihnen hier entlang der Wanderrouten auch deutlich mehr Jäger begegnen. Und es gibt mehr Grizzlys, Wölfe und Pumas als irgendwo sonst.“

Teton gilt auch als Jagdbezirk mit enormem Konfliktpotenzial. „Es scheint so, als wären dort alle Extreme versammelt: Jäger gegen Tierrechtsaktivisten, Bauunternehmer gegen Umweltschützer, Arme gegen Reiche, Grundeigentümer aus anderen Bundesstaaten gegen einheimische Bauerntölpel, Bärenfallen aufstellende Wilderer gegen glückliche Wanderer.“

Joe soll den Bezirk kommissarisch übernehmen, bis ein Nachfolger für einen Kollegen gefunden ist, der sich unter mysteriösen Umständen eine 44er in den Mund geschoben hat. Dass Joe nicht nur Jäger und Angler kontrollieren, sondern auch die Todesumstände klären will, stürzt ihn in Verwicklungen, die noch weitaus gefährlicher sind als die Wildnis der Berge. Denn: „‚Die Gegend hier ist etwas Besonderes. (…) Wegen all der Millionäre und Milliardäre hat der Landstrich das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Vereinigten Staaten. Es gibt hier Leute, die meinen, sie müssten sich nicht an die Regeln halten. Und wissen Sie was?‘ Der Sheriff zog die Augenbrauen hoch. ‚Das müssen sie auch nicht!‘“ Joe Pickett zu begleiten, erfordert also in jedem Fall etwas Mut. Wer aber spannende Abenteuer vor a temberaubender Kulisse nicht scheut, darf sich ihm getrost als Reiseführer anvertrauen.

C. J. Box, "Todfeinde" (Heyne Tachenbuch, 400 Seiten, 9,99 Euro)

Erschienen in der Nordsee-Zeitung, 17. 10. 2012, S. 6, im Rahmen der Serie "Mörderische Reisen"

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